Possessed
Film und elektronische Medien haben die Kunst in den 1970er Jahren auf besondere Weise reproduzierbar und damit mobil gemacht. Von Anfang an suchte und fand diese mediale Kunst auch ihre eigenen Produktions- und Distributionswege: Wege, die nicht selten kollektiv beschritten wurden und neue Formen des gemeinschaftlichen künstlerischen Arbeitens hervorbrachten, die an die Stelle der Verknappungslogik des Kunstmarktes eine breite öffentliche Sichtbarkeit und gesellschaftliche Wirkungsmacht setzten. Der üblichen Objektfixierung begegnete diese Kunst nicht zuletzt auch mit ephemeren, performativen medialen Ereignissen.
Auch wenn die Waren- und Besitzlogik des Kunstmarkts die Medienkunst inzwischen längst wieder eingeholt hat, verkompliziert sie nach wie vor die Frage nach dem Eigentum: Denn wem (und in welcher Form) gehört eine Kunst, die sich potenziell unendlich vervielfacht, die auf unterschiedlichen Trägermedien und in multiplen Präsentationskontexten gleichzeitig gegenwärtig sein kann? Und wenn sich Medienkunst – als Performance oder Intervention – live oder einmalig ereignet, kann man die Teilhabe an diesem flüchtigen Ereignis besitzen? Auch wenn ihr Ereignischarakter sie in besonderem Maße attraktiv gemacht hat für die Einverleibung in die museale Erlebnisökonomie der letzten Jahrzehnte: Welches entgrenzende und widerständige Potenzial können medienkünstlerische Werke trotzdem schon allein dadurch entfalten, dass sie in einem spezifischen räumlichen und zeitlichen Rahmen Körper im Hier und Jetzt zusammenbringen?
Eine andere Art der Zuspitzung hat die Frage nach dem Eigentum an und in der Kunst durch die Arbeit mit gefundenem Material erfahren, die in Found Footage- und Kompilationsfilmen ihren ersten prägnanten Ausdruck fand, dann in einer immer stärker recherchebasierten zeitgenössischen Kunst auch installativ verarbeitet wurde und im künstlerischen Reenactment eine weitere Wendung vollzog. Bis heute spielt die mehr oder weniger legale Aneignung fremden Materials aus unterschiedlichsten Quellen in der Medienkunst eine signifikante Rolle und stellt die Grenzen von Eigentum und Autorschaft in Frage.
Aber auch die konkreten gesellschaftlichen und politischen Dimensionen von Besitz und Eigentum treten immer stärker in den Blick und werden zum Gegenstand einer kritischen künstlerischen Auseinandersetzung mit einer globalisierten Welt, die sich durch zunehmende soziale Ungleichheit und wachsende ökonomische Spannungen auszeichnet. Angesichts von Phänomenen wie Datamining und Überwachung etwa untersuchen Künstler*innen, wie ein Recht am eigenen Bild oder Datensatz, ein Persönlichkeitsrecht für das digitale Zeitalter aussehen kann, das gegen ökonomische und politische Indienstnahmen immun ist. Der aus ökologischen und antikapitalistischen Impulsen hervorgegangene Trend zum Verzicht auf persönliches Eigentum ist jedoch im gleichen Zuge zur Blaupause geworden für eine gänzlich durchkommerzialisierte sharing economy, die ihrerseits in künstlerische Experimente um andere Formen von Teilhabe mündet.
Das Eigentum an und die Verwertung von menschlichen und natürlichen Ressourcen steht im Zentrum der Debatten um das „Kapitalozän“, die auch mit den Mitteln von Film und Medienkunst intensiv geführt wird. Unterschiedliche Formen von Landnahme, Okkupation und Ausbeutung, aber auch Bewegungen zur Restitution und Befreiung werden im Licht ihrer gegenwärtigen globalen Auswirkungen und kolonialen Vorgeschichten betrachtet.
Auch die Frage nach dem kulturell oder genetisch „Eigenen“ – sein emanzipatorisches Potential ebenso wie die problematischen Formen seiner Essentialisierung – wird intensiv künstlerisch bearbeitet. Die Kehrseite dieser Auseinandersetzung mit Identitäten bildet die zunehmende Aneignung und marktkonforme Aufbereitung „anderer“ Lebensweisen im Kunstbetrieb und im gesellschaftlichen Mainstream, aber auch die immer breiter diskutierte Rolle von Klasse und kulturellem Kapital bei der Entstehung – oder Nichtentstehung – von (künstlerischen) Karrieren.
Bezeichnend für unseren gegenwärtigen Moment ist die Dringlichkeit, mit der Künstler*innen diese Themen bearbeiten: Denn hier geht es nicht nur um die Beschreibung eines Status Quo, sondern um die Erarbeitung von und das Experimentieren mit neuen Formen des Zusammenlebens, mit individuellen und kollektiven Akten des Gebens und Teilens, des Ein- oder Rückforderns, der Selbstbestimmung und Selbstentäußerung – kurz: mit neuen Vorstellungen von Besitz jenseits von Haben und Sein.
Programm
Die von Inga Seidler kuratierte Ausstellung nimmt Besitz und Kolonialismus beziehungsweise rassistischen Kapitalismus als Ausgangspunkt. In den ausgewählten Arbeiten geht es um Ungleichheiten, die dieses System des Besitztums hervorgebracht hat: die Enteignung oder den Entzug von Land, Subjektivität, Geschichte/n, Erinnerungen und Rechten. Sie werfen ein Licht darauf, wie sich dies im Bereich des Digitalen fortsetzt und auf die Verbindung von Technologie und Abstraktion zurückwirkt. Die Schau präsentiert zudem Werke von Künstler:innen und Aktivist:innen, die alternative Formen des Besitzes, verschiedene Modelle des Zusammenlebens unter Verzicht auf Eigentum sowie veränderte gesellschaftliche Realitäten imaginieren.
Das von Anja Dornieden und Juan David González Monroy kuratierte Filmprogramm mit dem Titel „The Unpossesable Possessor“ [„Der nicht besitzbare Besitzer“] betrachtet den kinematografischen Apparat als lebendiges Wesen, der in eine vielschichtige Beziehung mit uns Menschen verstrickt ist. Ist seine Beziehung zu uns parasitärer oder wechselseitiger Natur? Sind seine Absichten lauter oder korrupt? Steht er unter unserer Herrschaft oder unterliegt unser Selbst seiner Kontrolle? Ist er menschlich? Oder etwas anderes? Liebt er uns? Zweifellos haben wir einen guten Teil unseres kollektiven Bewusstseins der Filmmaschine abgetreten. Wäre es nicht hilfreich herauszufinden, wer sie ist und was sie will?
Das von Daphne Dragona kuratierte Talk-Programm diskutiert, was „Besitz“ und „Besessen-Werden“ heute bedeuten und in welcher Verbindung sie zueinander stehen. Bildende Künstler:innen, Filmschaffende und Theoretiker:innen sind eingeladen, über Besitz, Kontrolle und Herrschaft im Kontext von Grundbesitz, Identität und Technologie zu diskutieren und zu erkunden, wie diese von alten und neuen Überzeugungen, Ritualen und Gewohnheiten bestimmt werden. Indem es seine Aufmerksamkeit auf vergangene und zeitgenössische Formen des Kolonialismus und des Extraktivismus richtet, fragt das Programm danach, was es bedeutet, Welt/en zu besitzen, zu verlieren und zurückzufordern. Dabei befasst es sich mit Formen von Widerstand, Relationalität und Verwandtschaft.