Transcript:
↳ Madre Drone

Patricia Domínguez über “Madre Drone”

In meiner Praxis gehe ich Beziehungen zwischen lebendigen Spezies auf den Grund, die sich aus der gegenwärtigen Digitalisierung des Lebens ergeben. Diese Beziehungen setze ich in den Kontext von Arbeit, Affekten, Extraktivismus und Spiritualität. Im Fokus meiner Projekte stehen emotionaler und territorialer Extraktivismus sowie ins Abseits gedrängte ethnobotanische Heilpraktiken Südamerikas.

Meine künstlerische Praxis besteht in einem persönlichen Ritual von Anpassungen und einem Denken in Symbolen, um überleben und in unserem kapitalistisch bestimmten System existieren zu können. Es handelt sich sozusagen um einen kapitalistischen Hack aus der Perspektive der Frau – eine andere Möglichkeit, auf unsere prekären Lebensumstände zuzugehen, aber auf weiblichere, intuitivere, inklusivere und verträumtere Art und Weise, die nicht so offensichtlich und utilitaristisch ist. Die Prozesse des Lebens verlaufen nicht linear.

Madre Drone untersucht die komplexen Möglichkeiten des Weinens, der Umwelt- und Gesellschaftskrise und des Heilens im digitalen Zeitalter.

Als 2019 in Boliviens Region Chiquitanía und in den Regenwäldern des Amazonas Brände wüteten, arbeitete ich als Freiwillige in einem improvisierten Tierasyl, wo ich mich um Tiere kümmerte, die im Feuer verletzt worden waren. Die Pflege eines halb erblindeten Tukans steht im Zentrum meiner Installation Madre Drone, die die Waldbrände mit Überlegungen zu den Bodenrechten der einheimischen Bevölkerung und den umherschwirrenden Polizeidrohnen, die zur Überwachung von Demonstrant*innen in Santiago de Chile eingesetzt wurden, in Zusammenhang bringt.

Das Video entsprang den Erfahrungen, die ich machte, als ich mich um die verletzten Tiere kümmerte. Ich war an der Reihe, mich um den erblindeten Tukan zu kümmern. Während meines Aufenthalts an seinem Zufluchtsort schrieb ich: „Ruhig erfühlte mich der blinde Tukan mit seiner rechten Seite. Von Zeit zu Zeit blickte er mich mit seiner linken Seite auch an. Es ist eine mystische Maske, ein mythologisches Tier, hervorgegangen aus dem Feuer von Chiquitanía und des Amazonas. Es hat zwei Gesichter, seine rechte Seite, die männliche Seite, die Seite, die der Kapitalismus von uns allen einfordert, hat man verbrannt. Indem es sein Auge verloren hat, wurde es zu einer dieser sehenden Maschinen, zu einem Ungeheuer, das über das Sichtbare hinausblickt.“

Im selben Monat des Jahres 2019 kehrte ich nach Chile zurück und stürzte mich in die sozialen Unruhen, bei denen 407 Menschen durch die Repressionen der Polizei Verletzungen an den Augen erlitten. Der symbolische Brand der Konflikte sprang auf Chiquitanía, Ecuador und Santiago über, Tiere und erblindete Menschen säumten seinen Weg. Die vom Feuer geblendeten Augen des Tukans sind Zeugen einer entarteten Realität aus der Kreuzung von tausend Geschichten. Die Augen eines erblindeten Menschen sind hingegen die brutale Folge der sozialen Proteste in Chile, in denen Menschen Würde einforderten. In dem Video weinen die Augen des Tukans und die des Menschen gemeinsam in einem kosmischen Aufschrei Südamerikas.

Madre Drone imaginiert neue planetarische Mythologien, die sich um jene sozialen, ökologischen, politischen und geistigen Veränderungen drehen, die in Südamerika vonstatten gehen. Es ist ein Mythos, der die Möglichkeiten des Weinens im Zeitalter des Kapitalismus in die Jetztzeit holt. Ein Mythos, in dem Drohnen weinen, in dem blinde Tukane kein Feuer mehr sehen, und in dem junge Menschen, die sich für Würde einsetzen, gezwungen sind, sich vom Sichtbaren ins Unsichtbare zu begeben, in eine in jeder Hinsicht neue Vision. Sie werden zu einer Art Amulett, das den Geist des Zeitgenössischen einzufangen versucht.